der Schummlauer

Die Elstraer Geschichten

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Was ein gewöhnlicher Brief alles erzählen kann

Viele Einzelheiten aus Wirtschaft und Handel, Verwaltung oder im privaten Bereich werden erst oder besonders durch erhalten gebliebene Belege deutlich. So konnten bisher einige Vereine und Einrichtungen erstmals über ihre Korrespondenz belegt werden. Ein besonders interessantes Beispiel postalischer Belege ist folgender Brief.

Es ist ein Bahnpost-Dienstbrief innerhalb des Elstraer Bestellbereiches ohne Briefmarken und mit einem ovalen Stempel  KAMENZ – BISCHOFSWERDA und einer großen blauen 8. Wie ermittelt man nun die Eigenheiten des Briefes?

Als erstes ist die Zeit zu bestimmen. Leider ist im Stempel das Jahr nicht zu erkennen, so dass dieses abgeschätzt werden muss, z.B. über:

  • das Majorat bestand bis 1920/21;
  • 1915 Überlassung des Schlosses Elstra zur Betreuung Verwundeter und demzufolge Verlegung der Guts-Verwaltung nach Gödlau;
  • nur zwischen Aug. 1916 und Sept. 1918 betrug die Gebühr für Orts-Briefe bis 500 Gramm  7,5 Pfennige.

In Verbindung mit dem Tag, dem gut erkennbaren 3. 6.,  ergeben sich also zwei mögliche Daten: 3. Juni 1917 oder 3. Juni 1918.

Versuchen wir nun, die Art des Briefes zu bestimmen. Der Rechteckstempel „Portopflichtige Dienstsache.“ macht dies (scheinbar) leicht. Es ist also ein Brief von einer Behörde an eine andere Behörde. Die Empfängerbehörde ist hier das Bürgermeisteramt Elstra, höflich formuliert „Herrn Bürgermeister Rauchfuß“, Absenderbehörde ist das Forst- und Rentamt des Majorats Elstra. Nun wird es verwaltungsgeschichtlich schwieriger. Ein Rittergut ist eine private wirtschaftliche Einheit und seine Verwaltung demzufolge keine Behörde. Eine „Dienstsache“ dürfte also hier nicht verschickt worden sein. Maßgebend ist aber der violette Stempel „Gutsbezirk Gödlau“. Die Dörfer, auch die um Elstra, bestanden bis etwa 1920 aus der Dorf-Gemeinde (Bauern, Gärtner und Häusler unter einem Gemeindevorstand). Das Rittergut mit seinem Personal gehörte nicht zum Dorf, sondern bildete einen (fast) gleichrangigen „Selbständigen Gutsbezirk Rittergut Gödlau“, dessen „Gemeindevorstand“ der Gutsverwalter war. Die Gutsbezirke Elstra und Gödlau waren seit längerem unter einem Verwalter, dem Oberförster Bruno Naumann, vereinigt. Dieser wohnte und arbeitete nach dem Freiräumen des Schlosses zu Beginn des Ersten Weltkrieges im Forsthaus Gödlau. Der Brief ging also innerhalb des Zustellbereiches des Postamtes Elstra von Gödlau nach Elstra.

Wie ist der Brief nun befördert worden?

Mit der Weiterführung der Eisenbahn Mitte 1902 nach Bischofswerda wurde die Post mit der Bahn und nicht mehr mit Postkutschen befördert. Wird ein Brief direkt am Bahnhof übergeben (hier kommt nur die Haltestelle Rauschwitz in Frage), bekam er vom Zugpersonal (Postschaffner) einen ovalen Bahnpoststempel. Der Postschaffner musste nun in diesem Beispiel auf der kurzen Strecke bis zur nächsten Station Elstra den Brief registrieren, stempeln und zum Entladen in Elstra einsortieren.

Auch die Gebühr, angezeigt durch die große blaue 8, sind ungewöhnlich.

Die Beförderungsgebühr musste bei Privatbriefen im Voraus bezahlt und dies durch Aufkleben von Briefmarken belegt werden. Bei Dienstbriefen war es den Behörden freigestellt, ob Briefmarken verwendet wurden oder nicht. Der handschriftlich mittels Blaustift ausgewiesene Bar-Betrag von acht Pfennigen wurde nach Ankunft von der Stadt Elstra eingezogen. Bei diesem Verfahren machte die Stadt noch einen halben Pfennig Verlust. Zur Finanzierung des Krieges wurde von Mitte 1916 bis Kriegsende 1918 auf vielerlei Leistungen eine „Kriegssteuer“ von 50 Prozent erhoben, die bei der Post gleich in die Beförderungs-Gebühr eingerechnet wurde. Es gab also Briefmarken zu 7,5 Pfennig (5 Pf. Orts-Porto und 2,5 Pf. Zuschlag). Da es aber bei Bargeld keine halben Pfennige gab, wurde bei Barzahlung oder Verrechnung aufgerundet. Hätte Herr Bruno Naumann mit Briefmarken frankiert, wären also nur 7,5 und nicht 8 Pfennig fällig gewesen. Vermutlich, aber nicht belegbar, erfolgte die Taxierung mit 8 (Pfennigen) erst im Postamt Elstra, wobei dieser und andere Briefe wahrscheinlich zusammen in eine „Gebühren-Sammel-Liste“ zur Verrechnung mit der Stadtverwaltung eingetragen wurde. Den „Verlust“ wird die Stadt verschmerzt haben.

Autor: Gunter Kretzschmar