der Schummlauer

Die Elstraer Geschichten

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Erstes Adlerschießen in Elstra nach 1945- Erinnerungen

Es war zu einem Schul- oder Heimatfest 1954, 1956 oder 1957. Den richtigen Zeitpunkt wußte keiner mehr.

Die Feuerwehr hatte in der Vor- oder Nachbereitung des Festes auf dem Festplatz am „Deutschen Haus“ zu tun. So richtig lief aber in der Nachmittagsflaute nichts mehr.

Wir Jungen hatten auch schon mal die Kletterstangen, bei deren Errichtung wir mitgeholfen hatten, ausprobiert. Wir wollten ja wissen, ob der Behang (Schulbedarf wie Bleistifte Radiergummis und Lineale oder auch kleine Würstchen und Bongsel) für uns erreichbar waren.

Wir umstanden die Männer, hatten mit zugefasst und wenn sich etwas ergab, wollten wir mit dabei sein. Es kann so am Nachmittag gegen 14.00 Uhr gewesen sein. Da kam einer der Männer auf den Gedanken: „Man müsste noch irgendwas machen“. Der Geistesblitz hieß „Adlerschießen“! Die nächste Frage war: „Wie?“.

In Gersdorf oder Lückersdorf gäbe es noch einen Adler von vor dem Kriege und an die Stellen, wo Armbrüste noch da waren, erinnerte man sich auch noch.

Einige rückten los, um die Sachen zu besorgen. In der Zwischenzeit wurden vier längere Rüststangen oder auch Fahnenstangen aus der Budenscheune herangeschleppt und eingegraben. Die Budenscheune, heute die Werkstatt der Heizungsfirma „Preusche und Skrotzki“, war dazu da, um Fahnenstangen, Rüstzeug und Arbeitsgeräte für die Stadtarbeiter sowie die Gestelle für die Jahrmarktbuden unterzubringen.

Schon gegen 16.00 Uhr hingen zwei Adler an großen Brettern, die an Wäscheleinen hochgehißt werden konnten. Bald liefen die Leute zusammen und auch die „Reichen“, die Geld hatten, um das Freibier bezahlen zu können, wurden herzitiert und schmeichlerisch wurde in ihnen der Ehrgeiz geweckt, Schützenkönig zu werden.

Bald klingelte das erste Geld in der Kasse, um die Adler zu bezahlen und um Bier zu kaufen, der Schuß zu 25 Pfennigen. Es gab reichlich Fehlschüsse... Dann ging es dem Holzgeier doch noch an die Federn. Irgend ein armer Töpper bolzte zum Entsetzen der ganzen durstigen Truppe, zielsicher den ersten Kopf herunter. Die Monatslöhne waren damals nicht gerade sehr hoch und Bratpfannen oder Holzlatschen in den Händen wütender Ehefrauen sind da äußerst gefährlich. Das war eine Situation, der der Töpfermeister Dietrich Jürgel durch Zahlung des Freibieres die Brisanz nahm.

Es sprach sich schnell in der Stadt herum, dass am „Deutschen Haus“ schon was los sei. Der Zulauf wurde immer größer. Der Rußbuttel, Essenkehrer, auch Schornsteinfeger genannt, schaffte den zweiten Kopf. Jetzt gingen der Doktor Breitenborn und Klempnermeister Rudi Unger allein ins Rennen. Ein anderer bekam aus Sicherheisgründen wegen des Freibiers die Armbrust gar nicht mehr erst in die Hände. Bolzen um Bolzen schnellte von den gespannten Armbrüsten los, aber nicht ein Stückchen Adler kam herunter. „Wir müssen noch etwas einsägen“, hieß es. Wünsches Martin, Hantschacks Hardi und noch ein paar andere holten Brett und Adler herunter, sägten sachkundig ein und hievten das Ding wieder hoch. Als der Adler wieder oben war, merkte keiner, dass der Befestigungskeil, der den Adler hinter dem Brett festhielt, noch unten lag.

Der Doktor schaffte unter großem Jubel die Klaue mit dem Zepter und war damit der Marschall. Der Klempnermeister war beim Schießen, als zu bemerken war, dass die Standhaftigkeitsbiere, die so nebenbei getrunken worden waren, langsam in ihrer Wirkung nachließen. Kurzum, die Sache mußte zu einem Ende gebracht werden. Martin Wünsche ergriff eine Stange und schlug kurz vor dem nächsten Schuß von hinten gegen das Brett, was den Adler hielt. Der gab seinen Widerstand auf und krachte fast im richtigen Moment runter. Der Armbrustbolzen war eigentlich noch gar nicht richtig oben gewesen, aber das war nun egal. Einer von den beiden war ja sowieso dran. Es waren Leute, die das Freibier bezahlen konnten. Die mußten so lange schießen bis der Holzgeier unten war. Durch die Menge der Zuschauer ging ein Jubelschrei, man hatte seinen König.

Mit dem ersten Paukenschlag und dem Tusch der Feuerwehrkapelle wurden Doktor und Klempner auf Schultern gehoben, aber wegen des großen Gewichtes des Letzteren, bald wieder abgesetzt.

Dann ging der Zug unter Musik zuerst in Richtung Bahnhof. Dort wurden diejenigen abgeholt, die mit dem Zug von der Arbeit kamen. Ein großer Teil waren Töpper und arbeiteten in der Kamenzer Töpperei auf der Güterbahnhofstraße. Dann ging es durch die Straßen, direkt ins „Schwarze Roß“. Unterwegs wurden die Schmuckbirken aus der Straßendekoration herausgerissen und im Triumpf in der Demonstration mitgetragen. Es wurden immer mehr Menschen. Männer in Holzlatschen waren dabei, den Dengelhammer vom Sense schärfen noch in der Hand. Frauen in Filzpantoffeln, mit Lockenwicklern oder Kopftüchern und in den Schürzen, die sie gerade umhatten, kamen dazu. Alle, die den Zug sahen, schlossen sich an. Sollte doch Wäsche waschen und Abendbrot machen wer will, erst mal sehen was los ist.

Auf dem Saal im „Schwarzen Ross“ hatte Haufe Fritz, der Gastwirt, in Erwartung des Kommenden, schon das erste Faß Bier aus dem Keller holen lassen und einen langen Tisch mit Gläsern aufgestellt. Die Bierfässer wurden auf dem Saal angestochen. Es stellten sich alle in einer Reihe an und holten sich ihr Bier, Als erste tranken der Schützenkönig und der Marschall. Die mußten alles freigeben und alle tranken den edlen Spendern zu. Es wurde auch getanzt.

Die Musik zum Tanze besorgte die damals frisch gegründete Feuerwehrkapelle. Bei der Stimmung, in der die Leute waren, die jahrelang nichts hatten, war musikalische Qualität absolute Nebensache, und die Unsicherheit der Musikanten schmolz so dahin, wie die Stimmung stieg. Ein Mann aus dem Steinbruch war so in Stimmung, (es war Fritz B.), dass er so wie er von der Arbeit gekommen war, in Lederschürze und Holzlatschen, auf dem Tisch tanzte, und das machte nicht nur er.

Das Ganze blieb für lange Zeit und für viele als ein außergewöhnliches Erlebnis im Gedächtnis. Das Adlerschießen wurde in den folgenden Schul - und Heimatfesten wiederholt durchgeführt. Doch so eins, wie dieses erste, hat es nie wieder gegeben.


Wie es mit der Planung richtig war, habe ich von Herrn Kurt Hentschel, der damals mit Herrn Fritz Hartmann im Festausschuss war, in einem Gespräch erfahren. „Das Schießen war geplant, aber die Auswirkungen waren weder vorher bekannt noch geplant.“, sagte er. Dem Ganzen sollte, um irgendwelchen Schwierigkeiten von Seiten der Behörden der Anschein von Zufälligkeit verliehen werden. Deshalb die vorbereitenden Gespräche in der Öffentlichkeit. Die Richtigkeit der Annahme bestätigte sich, als der damalige Volkspolizeiposten Karl M. einen Anruf mit der Frage erhielt, ob in Elstra die Konterrevolution ausgebrochen sei. Er unterrichtete die übergeordnete Dienststelle von dem Vorgang mit dem Rat „-----bloß nicht stören --sonst---.“

Einige von mir befragte Bürger sagten, dass es doch schon 1950 gewesen sein könnte. Doch die Feuerwehrkapelle soll erst 1953 gegründet worden sein.

 

Aus der Erinnerung. Dietrich Rauchfuß